Digitales Carsharing für das Münsterland

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Mit einem digitalen Carsharing-Dienst bietet das Start-up wuddi ein modernes und nachhaltiges Mobilitätskonzept für das Münsterland. In weniger als zehn Minuten ist die App installiert, der Führerschein verifiziert und der Kunde kann losfahren. Autohersteller haben die Sharing-Economy schon länger als Markt für sich entdeckt, sind aktuell jedoch nur in Metropolregionen unterwegs. Auf lokaler Ebene macht sich nun ein Autohändler – Beresa aus Münster als Investor und Inkubator bei wuddi – auf den Weg, den geänderten Kundenwünschen gerecht zu werden.

Immer mehr Verkehr in immer voller werdenden Städten. Bei knapper werdenden Ressourcen und dem Erstarken eines Nachhaltigkeitsbewusstseins. Die Frage, ob Sharing das Konzept der Zukunft sei, ist im Prinzip bereits beantwortet. Jeder zweite Deutsche (47 %) kennt mindestens einen Sharing-Anbieter. Jeder fünfte Deutsche (19 %) hat bereits einmal ein Sharing-Angebot genutzt, bei den Personen unter 45 Jahren sogar jeder dritte. Die meisten von ihnen (67 %) nutzen dabei Angebote aus dem Bereich Mobilität (YouGov Analyse: Sharing Economy 2019). Flexible Dienstleistungen werden vor allem für junge Verbraucher immer wichtiger. Das Auto als Statussymbol hat bei vielen ausgedient. Steht es doch durchschnittlich 23 Stunden am Tag ungenutzt herum und kostet in dieser Zeit einfach nur Geld. Der ADAC bietet eine aktuelle Übersicht der monatlichen Fixkosten von Neuwagen. Danach liegen die „Total Costs of Ownership“, kurz TCO, bei einem Kleinstwagen schon deutlich oberhalb von 400,- Euro monatlich.

Digitales Carsharing
Eine Studie des Bundesverbands Carsharing hat jüngst unterstrichen, dass stationsbasiertes Carsharing den Innenstadtverkehr deutlich entlastet.

Soweit die Ausgangslage. Das Start-up wuddi will dieses Geschäftsfeld nun also besetzen, aber digitaler und innovativer als bereits vorhandene Anbieter. Carsharing per App – geplant sind über 50 Ausleihstationen im ganzen Münsterland. Aktuell existieren sieben Stationen. Vier in Münster, zwei in Coesfeld und eine in Warendorf. In Emsdetten soll es schon bald weitere Stationen geben, unter anderem am Bahnhof. „Wir hätten gerne schon deutlich mehr Standorte“, erklärt wuddi-Geschäftsführer Manuel Schlottbom. „Leider ist die Vergabe von Parkflächen auf kommunalpolitischer Ebene doch komplizierter und langwieriger, als wir gedacht hatten. Auch für die Installation der Ladesäulen auf öffentlichen Flächen braucht man natürlich zunächst Genehmigungen. Die Gespräche und Verhandlungen sind teilweise herausfordernder als erhofft.“

Parkflächen und Ladeinfrastruktur fehlen

Das Fehlen von Ladeinfrastruktur hat die Gründer gar dazu bewegt, von einem der Grundprinzipien der Geschäftsidee abzuweichen. „Wir haben unsere Flotte jetzt auch um einige ‚Schwarze Schafe‘ erweitert“, räumt Schlottbom ein. Die schwarzen Schafe – es sind Verbrenner, die, anders als die weißlackierten Elektro-Flitzer, in Schwarz und angetrieben von einem Benzinmotor über die Straßen des Münsterlandes rollen. „Wir wollen und müssen schnellstmöglich wachsen“, begründet Schlottbom die Entscheidung. „Sobald wir mit der Ladeinfrastruktur nachgekommen sind, werden wir die Benziner gegen Elektrofahrzeuge austauschen. Unsere Vision ist nach wie vor, zu 100 % elektrisch zu sein.“ Hoffnung macht – zumindest in Münster – die Tatsache, dass es in der Stadtverwaltung ab Februar 2020 einen neuen Mitarbeiter gibt, der einzig für das Thema Mobilitätsentwicklung und Ladeinfrastruktur im Stadtgebiet zuständig ist.

Die Geschäftsidee entstand aus einem am KFZ-Markt etablierten Unternehmen heraus. Wie auch anderswo fragte man sich bei Beresa, was der Kunde wohl in Zukunft wolle. Thomas Ulms, Geschäftsführer des Traditionsunternehmens Beresa, denkt, mit seinem Team die Antwort gefunden zu haben: „Das traditionelle Automobilgeschäft wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern und wir möchten von vornherein mit dabei sein und auf die Bedürfnisse all unserer Kunden reagieren. Dabei ist das Carsharing-Angebot eine sinnvolle Ergänzung unserer Produktpalette und eine Investition in die Zukunft.“

Im Carsharing gibt es zwei Geschäftsmodelle: Freefloating oder stationsbasiertes Carsharing. Beim Freefloating kann man das Fahrzeug an Station A abholen und an Station B wieder abgeben. Das bietet zwar größtmöglichen Komfort für die Kunden, dieser ist aber auf Anbieterseite mit enormem finanziellen und logistischen Aufwand verbunden. wuddi hat sich daher für stationsbasiertes Carsharing entschieden. Der Wagen wird an der gleichen Stelle abgeholt und wieder zurückgegeben. „Unser Angebot an Stationen soll perspektivisch flächendeckend sein“, so Manuel Schlottbom. „Dann sind die Wege kurz und die Parkplatzsuche in den Innenstädten entfällt.“

Digitales Flottenmanagement per App

Hinter der Technik, die der Kunde über eine App auf seinem Smartphone steuert, steckt bewährtes Flottenmanagement, wie es auch von anderen Autoverleihern oder Großunternehmen verwendet wird. Neu ist, dass sämtliche Prozesse über die App abgewickelt werden. Der Kunde installiert die App, registriert sich, hinterlegt seine Zahlungsdaten und führt eine Online-Führerscheinüberprüfung durch. Mehr ist nicht erforderlich. Der ganze Prozess dauert keine zehn Minuten. Im Einsatz überwacht eine Art digitale Leitstation, ob die Prozesse reibungslos laufen: Das nächste freie und damit verfügbare Auto wird dem Kunden angezeigt, jedoch nur, wenn die Fahrzeugbatterie auch komplett geladen und auch sonst alles in Ordnung ist. Ist ein Auto gebucht, erfolgt zwei Stunden vor dem Mietbeginn eine erneute Prüfung. Sollte das Ladekabel zwischen Buchung und Mietbeginn zum Beispiel entfernt worden oder ein anderer Fehler aufgetreten sein, können die wuddi-Mitarbeiter noch reagieren und das Fahrzeug zum Mietbeginn korrekt vorbereiten. Auch die Ent- und Verriegelung des Fahrzeuges erfolgt über die App. Die Kilometerstände werden digital übermittelt, sodass immer korrekt abgerechnet werden kann.

Digitales Carsharing im b2b-Bereich

Auch an Firmenkunden richtet sich das digitale Carsharing-Angebot von wuddi. Und trifft dort offenbar auf reges Interesse, erklärt Lea Dillmann. Die 31-Jährige hat jahrelange Erfahrung in den Bereichen Mobilitätsmanagement und Autovermietung und verantwortet seit einigen Monaten den Vertrieb des Münsteraner Start-ups: „Als Unternehmen kann man soziale Verantwortung zeigen und seinen Angestellten auch noch einen zusätzlichen Benefit bieten, wenn man wuddi Business-Kunde wird. Dienstfahrten werden unbürokratisch über die App abgerechnet, das Fahrtenbuch entfällt. Und wenn einmal jemand eines der Fahrzeuge privat nutzen will, so ist das über ein besonderes Business-Profil ebenfalls in der App möglich.“

Die LVM Versicherung, bei der die wuddi-Flotte auch versichert ist, beabsichtigt, eine eigene Carsharing-Station in der Hauptverwaltung am Kolde-Ring in Münster zu installieren. Auch mit anderen Unternehmen ist man im Gespräch. Die Mitarbeiter des Industrie-Zulieferers Weicon beispielsweise können bereits auf Smarts von wuddi zugreifen.

wuddi – der Name

wuddi steht in der münsterländischen Soziolektsprache Masematte für Auto.

wuddi in Zahlen

  • Gegründet: 2019
  • Mitarbeiter (Stand 01/2020): 3
  • Anzahl Ladestationen im Münsterland (Stand: 01/2020): 8
  • Anzahl Fahrzeuge (Stand 01/2020): 20
  • Anzahl Ladestationen im Münsterland (geplant Ende 2020): 40
  • Anzahl Fahrzeuge (geplant Ende 2020): 75

Technologiepartner

Preismodelle

Flex-Tarif (ohne monatliche Grundgebühr):

  • Mietpreis tagsüber (7-24 Uhr) 3,60 Euro pro Stunde (minutengenaue Abrechnung)
  • Mietpreis nachts (0-7 Uhr) 0,72 Euro pro Stunde (minutengenaue Abrechnung)
  • Preis pro KM: 0,28 Euro

Komfort-Tarif ( 5,- Euro Grundgebühr pro Monat):

  • Mietpreis tagsüber (7-24 Uhr) 2,40 Euro pro Stunde (minutengenaue Abrechnung)
  • Mietpreis nachts (0-7 Uhr) 0,72 Euro pro Stunde (minutengenaue Abrechnung)
  • Preis pro KM: 0,22 Euro

Digitales Carsharing

Praxistest

Die digitale Dienstleistung an sich ist schon einmal gut. Aber bewährt sie sich auch in der Praxis? Dazu habe ich einen Elektro-Smart für einen Termin in Emsdetten am 16. Januar 2020 gebucht. Ohne mich groß weiter mit der App und dem konkreten Handling auseinandergesetzt zu haben – denn das Angebot soll ja auch und vor allem spontan genutzt werden – fahre ich also mit dem Rad zur Abholstation am WhyIT-Campus in Münster, gleichzeitig Firmensitz der wuddi GmbH. Das Öffnen des Fahrzeugs per App funktioniert problemlos. Zum Glück fiel mir der PIN-Code, den ich beim Installieren der App vergeben musste, gleich wieder ein. Der Schlüssel befindet sich im Handschuhfach in einer besonderen Halterung. Mit dem Schlüssel entriegle ich auch das Stromkabel und kann es dann abnehmen und losfahren.

Es ist kalt an diesem Januartag. 4 Grad Celsius. Die Gesamtreichweite wird mit knapp unter 100 Kilometern angezeigt. Das ist nicht viel, sollte aber reichen, schließlich habe ich nur 60 Kilometer geplant. In Emsdetten angekommen ist der Akku auch noch zu 65 Prozent geladen. Kein Problem also. Trotzdem checke ich mal die umfangreichen Hilfetexte in der App, um herauszufinden, was ich im Fall der Fälle tun könnte, sollte der Strom mal nicht mehr für den Rückweg reichen. Die wuddi-Fahrzeuge werden über das System Chargepoint aufgeladen. Über einen Link komme ich zu einer Übersicht der öffentlichen Chargepoint E-Tankstellen. Meine nächste Möglichkeit wäre eine Ladesäule im 39 Kilometer entfernten Wietmarschen zwischen Lingen und Nordhorn. Das Ladesäulen-Netz ist definitiv noch ausbaufähig.

Zurück in Münster ist der für mein Fahrzeug vorgesehene Parkplatz durch ein BMW i3, der nicht zur wuddi-Flotte gehört, belegt. Ich kann zwar den Parkplatz direkt daneben benutzen, aber der BMW-Fahrer hat auch noch „mein“ Ladekabel in seinen Stromer gesteckt. So kann ich meinen Smart nicht zurückgeben, denn die App verlangt, dass ich den Wagen auch wieder an den Strom anschließe. Ein Anruf bei wuddi (die Service-Telefonnummer steht auf dem Schlüsselanhänger) bringt die Lösung: Ich soll einfach das Kabel aus dem BMW ziehen und in den Smart stecken. Gesagt, getan. Kabel eingesteckt, Schlüssel in den Stecker im Handschuhfach gesteckt, Wagen per App verriegelt. Fertig. Nur eine Minute später ist die Rechnung über 42,66 Euro schon in meinem E-Mail-Posteingang. Die lange Nutzungsdauer von mehr als sechs Stunden hat einen Großteil der Kosten produziert. Die klare und unmissverständliche Markierung der wuddi-Parkplätze könnte noch verbessert werden. Trotzdem: Praxistest bestanden!

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Stefan Reinermann ist Digital Journalist, Online-Marketing-Manager und als Inhaber und Geschäftsführer der Agentur r2medien auch Herausgeber dieses Blogs. Nach einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei den Westfälischen Provinzial Versicherungen in Münster und einem Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln kam der gebürtige Emsdettener über Stationen in Redaktionen und Agenturen in Köln, Bonn, Leverkusen, Düsseldorf und Osnabrück schließlich zurück nach Münster und gründete hier 2004 die Agentur r2medien. Den Mehrwert von Netzwerken, kollaborativem Arbeiten und dem Teilen von Wissen hat er in den vergangenen Jahren in zahlreichen Projekten zu schätzen gelernt. Das war in erster Linie sein Antrieb zur Realisierung dieses Blogs.

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