Interview mit Digital-Evangelist Karl-Heinz Land: „Wir müssen alles neu denken“

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Vor einigen Wochen war Karl-Heinz Land mit seinem Vortrag „Erde 5.0“ zu Gast an der FH Münster. Der Autor, Speaker und selbsternannte „digitale Evangelist“ beschreibt die im Zuge der digitalen Transformation vor uns liegenden Veränderungen als „radikaler und unvorstellbarer als alles, was in den zurückliegenden 350 Jahren geschah“. Die Digitalisierung ändere nichts – nur alles, so Karl Heinz Land, dessen Prognose lautet: „Alles, was sich digitalisieren, automatisieren und vernetzen lässt, wird digitalisiert, automatisiert und vernetzt.“ Mehr zum Vortrag von Karl-Heinz Land auf der Website der FH Münster. Eine Leseprobe seines aktuellen Bestsellers „Erde 5.0“ ist hier abrufbar.

digitalisierungspraxis.de hat mit Karl-Heinz Land gesprochen und ihn nach den Auswirkungen der Digitalisierung für kleine und mittlere Unternehmen gefragt.

Karl-Heinz Land

Herr Land, was würden Sie einem Mittelständler in einer Region wie dem Münsterland, in der es längst nicht überall Breitband-Anschluss gibt, raten, um sein Unternehmen zukunftssicher aufzustellen?

„Meine Empfehlung hier lautet ‚hartnäckig bleiben‘. Es kann m. E. nicht sein, dass ein innovatives, technologisches und hoch entwickeltes Land wie Deutschland sich beim Breitbandausbau so schwertut. Im globalen Vergleich liegen wir in puncto Internet-Geschwindigkeit auf Platz 31, verglichen mit dem Jahr 2017 ist das sogar noch eine Verschlechterung um 9 Plätze! Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, muss sich dringend etwas ändern, und das schaffen wir nur, wenn auch die letzte Milchkanne im tiefsten Hinterland mit 5G ausgestattet ist. Hier muss die Politik dringend handeln, anderenfalls verlieren wir den Anschluss.“

Gibt es regionale Wirtschaftsräume wie das Münsterland in Zukunft noch, oder wird alles nur noch global gedacht?

„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, die Dinge global zu denken, aber trotzdem in einem regionalen Wirtschaftsraum wie dem Münsterland zu agieren. Es hängt alles davon ab, ob wir in Zukunft mit der Geschwindigkeit mithalten können, und das schaffen wir meines Erachtens nach nur, wenn wir uns mit den Entwicklungen und Technologien auseinandersetzen und uns diese zunutze machen.“

Fast zwei Drittel der im Münsterland beschäftigten Arbeitnehmer sind im Dienstleistungssektor tätig. Gerade hier prognostizieren Sie einen erheblichen Automatisierungsgrad. Droht da Massenarbeitslosigkeit durch RPA und KI, oder was werden die Menschen hier künftig arbeiten?

„Ich sehe hier tatsächlich ein nicht unerhebliches Problem der Deutschen. Wir denken nach wie vor in Hardware bzw. Maschinen. Dass die Wertschöpfung längst in einem anderen Bereich stattfindet, nämlich in Software, ist bei uns noch nicht so richtig angekommen. Bereits 2020, so vermutet Gartner, werden 30 bis 50 Milliarden Geräte im Internet der Dinge miteinander verbunden sein. 2025, so schätzt man, werden es bereits eine Billion Geräte sein. Diese Wertschöpfung wird größtenteils über Software generiert. Wenn man jetzt weiter stur Maschinen bzw. Hardware produziert, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man irgendwann komplett abgeschlagen wird. Es müssen gezwungenermaßen neue Services um unsere bestehenden Produkte entwickelt werden, ein gutes Beispiel hierfür sind BMW und Daimler mit ihrem Angebot ShareNow.

„Ich sehe hier tatsächlich ein nicht unerhebliches Problem der Deutschen“

Daher rede ich im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge auch immer vom Internet der Services, weil die Wertschöpfung hier fast ausschließlich über Services entsteht. Die Lösungen hierfür liegen heute bereits auf dem Tisch und werden in verschiedenen Regionen auch schon verprobt – Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen. Ich bin der Meinung, dass wir zukünftig nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen herumkommen werden. Die Menschen genießen dadurch die Freiheit, sich den Dingen zu widmen, die ihnen Spaß machen, wo sie sich kreativ ausleben können und wo soziale Kompetenzen gefragt sind oder wo aktuell wirklich große Bedarfe vorhanden sind, ein Beispiel hier sind Pflegeberufe. Jeder ist selbst in der Lage zu entscheiden, ob ihm sein Grundeinkommen ausreicht oder ob er sich in einem anderen Bereich noch etwas dazuverdienen möchte.“

Wenn die in Ihrem Buch beschriebenen exponentiellen Veränderungen stattfinden, wo liegen da die Chancen für eine Region wie Münster und das Münsterland?

„Wenn die Chancen richtig genutzt werden, dann sind unserer Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt.“

Sie schreiben in Ihrem Buch „Erfolg und Ansehen von Unternehmen hängt in Zukunft vor allem davon ab, welchen Nutzen sie für die Gesellschaft stiften.“ Können Sie da bitte einmal etwas konkreter werden?

„Schauen Sie sich nur mal die Ergebnisse der Europawahl an oder Bewegungen wie Fridays 4 Future. Die Menschen sind sichtlich unzufrieden mit der aktuellen Situation. Die Menschen erwarten heutzutage ein nachhaltiges Handeln, weil die Folgen des Klimawandels langsam für jeden spürbar werden. Es entsteht langsam eine Verhaltensänderung beim Kunden. Noch vor Kurzem habe ich mit Rewe gesprochen, die mir mitteilten, dass sie kaum noch Eier aus Bodenhaltung verkaufen. Das Konsumverhalten ändert sich und der Kunde hat mit seiner Verhaltensänderung größeren Einfluss auf die Unternehmen, als viele vielleicht ahnen.
Die Vermögensverwaltung Black Rock will zukünftig nur noch in nachhaltige Unternehmen investieren, da ihnen alles andere zu riskant wird. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Bayer AG mit der Monsanto Übernahme. Sie haben seit dem Zukauf bereits 60 Mrd. ihres Unternehmenswerts eingebüßt. Wer in Zukunft nicht darauf achtet, nachhaltig zu handeln, wird nicht nur vom Endkunden, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit demnächst auch noch von der Politik abgestraft.“

„Wir müssen alles neu denken.“

Sie beraten Parteien und Politiker unterschiedlicher Fraktionen in Fragen zum Thema Digitalisierung. Denken Sie, dass die handelnden Personen den Veränderungsprozessen offen gegenüberstehen und dem Veränderungstempo gewachsen sind?

„Wir müssen alles neu denken. Arbeit, Sozialsystem, Bildung, Ökonomie und Ökologie. Wir müssen die Grundlagen für eine ökologisch soziale Marktwirtschaft entwickeln und den technologischen Fortschritt und die Digitalisierung in den Dienst von Menschen und Natur stellen. Da ist noch viel zu tun!“

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Stefan Reinermann ist Digital Journalist, Online-Marketing-Manager und als Inhaber und Geschäftsführer der Agentur r2medien auch Herausgeber dieses Blogs. Nach einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei den Westfälischen Provinzial Versicherungen in Münster und einem Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln kam der gebürtige Emsdettener über Stationen in Redaktionen und Agenturen in Köln, Bonn, Leverkusen, Düsseldorf und Osnabrück schließlich zurück nach Münster und gründete hier 2004 die Agentur r2medien. Den Mehrwert von Netzwerken, kollaborativem Arbeiten und dem Teilen von Wissen hat er in den vergangenen Jahren in zahlreichen Projekten zu schätzen gelernt. Das war in erster Linie sein Antrieb zur Realisierung dieses Blogs.

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