„Digitalisierung ist ein Prozess, der nie endet“

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apetito hat vor drei Jahren eine Abteilung innerhalb des Marketings eingerichtet, die den digitalen Umbau im Unternehmen vorantreiben soll. Der Wirtschaftsinformatiker Peter Kuras leitet sie. Im Interview verrät er, warum die Digitalisierung mehr als ein Projekt ist, welche Rolle die Fehlerkultur dabei spielt – und wie ein neues Arbeitsprinzip die Unternehmenskultur verändert.

Herr Kuras, warum ist es so wichtig, dass ein Unternehmen digital denkt?
Privat sind wir in allen Lebensbereichen längst digital unterwegs – so auch Kunden, die zu Recht digitale Mehrwerte erwarten. Wenn man als Unternehmen nicht längst angefangen hat, sich darauf einzustellen, wird es irgendwann kaum noch möglich sein, den Rückstand aufzuholen.

Was unterscheidet denn ein digital denkendes Unternehmen von einem analogen?
Zum Beispiel, dass man mit dem Unternehmen jederzeit direkt in Kontakt treten kann – also, dass Kunden die Möglichkeit haben, eine Nachricht zu schreiben, und dann auch schnell eine Antwort kommt. Je einfacher und schneller Kunden bzw. Interessenten ihr Anliegen platzieren können und dieses auch bearbeitet wird, desto besser.

Die Kommunikation mit den Kunden ist aber nur eine Facette. Die Digitalisierung betrifft alle Teile des Unternehmens und sie verändert die gesamte Kultur. Wo fängt man an mit dem Umbau?
Diese Frage haben wir uns bei apetito auch gestellt. Wir können ja nicht einfach sagen: Wir machen jetzt eine Projektvorphase, dann setzen wir Digitalisierung bei apetito um und am Ende haben wir einen Projektabschluss. Digitalisierung lässt sich nicht in eine klassische Projektform gießen, sie ist ein schnelllebiger Prozess, der nie endet.

Peter Kuras
Peter Kuras leitet die Abteilung Digital Business Sales & Marketing © apetito

So ein Vorgehen ist für viele Unternehmen ein Kulturschock.
Das ist wahrscheinlich so. In Unternehmen stehen klassisch aufgebaute Projekte an der Tagesordnung. In digitalen Prozessen ist es aber gar nicht mehr möglich, alles bis zum Ende durchzuplanen. Die Rahmenbedingungen verändern sich viel zu schnell. Das bringt auf der anderen Seite aber auch enorme Vorteile.

Welche zum Beispiel?
Auswertungen und Feedback auf Veränderungen liegen viel schneller vor. Wir können heute ganz anders mit Daten umgehen und Vergleiche ansetzen. Natürlich steckt dahinter auch eine große Verantwortung.

Wie etablieren Sie eine Haltung für die Digitalisierung in Ihrem Unternehmen?
Das ist tatsächlich nicht ganz leicht. Digitalisierung bedeutet Veränderung, die von den Mitarbeitern getragen werden muss.
Bei apetito achten wir zum Beispiel darauf, dass auch in Abteilungen, die noch nicht so viel mit digitalen Themen zu tun haben, junge Leute sitzen, die digitalaffin sind – also Kollegen, die langsam anfangen, dieses Feuer zu entfachen und die in den Abteilungen wie Multiplikatoren wirken. Aber das ist nur ein Punkt, der dazu führt, dass das digitale Niveau im ganzen Unternehmen langsam, aber stetig wächst.

Die Digitalisierung macht vielen Menschen Angst, weil sie die Sorge haben, dass ihre Arbeit dadurch überflüssig werden könnte.
Ein solcher Eindruck sollte gar nicht erst entstehen. Wir bei apetito betonen das sehr deutlich: Wir wollen Jobs nicht wegrationalisieren. Digitale Prozesse bedeuten vielmehr eine Unterstützung in bestehenden Prozessen.

Mitarbeiter sehen die Digitalisierung auch deshalb skeptisch, weil sie befürchten, dass ihre Arbeit dann überwacht werden kann und jeder Fehler gleich auffällt.
Ich denke, es geht nicht darum, wer gut oder schlecht ist, sondern vielmehr darum, was innerhalb bestehender Arbeitsabläufe gut oder schlecht ist. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Warum ist dieser Unterschied wichtig?
Wenn man besser werden möchte, ist es sehr wichtig, dass man erfährt, wenn etwas nicht optimal läuft. Nur dann kann man es verändern. Daher braucht man eine andere Fehler- und eine andere Feedbackkultur. Es kommt darauf an, dass Mitarbeiter Informationen weitergeben, die wichtig sind.

Wie bringen Sie Ihre Mitarbeiter dazu, offen mit Fehlern umzugehen?
In meiner eigenen Abteilung lebe ich das vor. Gute Führung bedeutet, Aufgaben an die richtigen Personen zu geben und Anreize so zu setzen, dass die Mitarbeiter ein gutes Ergebnis abliefern wollen. Das geht am besten in einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der man offen sein und auch mal einen Fehler zugeben kann. Das steigert die Produktivität der Mitarbeiter und sorgt für Motivation.

Was machen Sie, wenn Mitarbeiter sich auf diese Kultur nicht einlassen möchten?
Es gibt natürlich Kollegen, die Vorbehalte haben. Die gibt es in jedem Unternehmen. Aber wenn sich das gesamte Umfeld verändert, können wir oft auch diese Kollegen gewinnen. Mike Cohn, einer der Vordenker des Scrum-Modells hat mal gesagt: „breathe – and others will follow.“ Damit meint er das Modell des Vorlebens.

Sie arbeiten bei apetito nach dem Scrum-Modell. Können Sie das kurz erklären?
Scrum kommt aus der Programmierung, also der Softwareentwicklung heraus. Das ist eine agile Vorgehensweise, um eine Software zu entwickeln, aber im Grunde ist das auf alle Aufgaben dieser Welt adaptierbar, sogar auf einen Hausbau. Hier geht man zyklisch in kleinen Schritten vor, welche in einer entsprechenden Frequenz ge-reviewed werden, den sogenannten Sprints. Man führt schnelllebig den ‚inspect and adapt‘-Ansatz durch.

Können Sie das erklären?
Beim Hausbau geht man eigentlich linear vor. In Phasen. Man überlegt sich, wie das Haus aussehen soll, was man dazu alles braucht. Dann plant man. Im nächsten Schritt wird alles umgesetzt. Danach überprüft man, ob es so geworden ist, wie es geplant wurde. Und wenn eine Phase abgeschlossen ist, kommt man an diesen Punkt nicht wieder zurück. Der Nachteil dabei ist: Wenn bei der Überprüfung am Ende ein Fehler auftaucht, ist es viel teurer, ihn zu korrigieren, als wenn man schon in der Planungsphase auf ihn gestoßen wäre. Und diese Fehler kann man durch die agile Vorgehensweise Scrum verhindern.

Wie geht das?
Scrum hat im Grunde die gleichen Projektphasen – nur in weitaus höherer Frequenz und man durchläuft sie immer wieder. Jemand, der im Phasenmodell denkt, zu dem wird auch Scrum gut passen. Die Konzeption und Planungsphase ist in Scrum die Produkt-Vision. In der Entwicklung, also der eigentlichen Umsetzung, wird in zwei- bis vierwöchigen Sprints das umgesetzt, auf das man sich im Team geeinigt hat. Nach jedem Sprint wird überprüft, ob das gewünschte Ziel erreicht ist. Fehler werden sofort behoben. Für den Folgesprint plant man wieder neu und priorisiert auch entsprechend. So kann direkt auf wechselnde Anforderungen bzw. Marktwünsche reagiert werden.

Vielleicht können wir mal ein Projekt durchgehen.
Nehmen wir unsere E-Sales-App als Beispiel. Am Anfang kam einer unserer Geschäftsführer für den Vertrieb zu mir und sagte: „Wir haben hier einen gut sieben Kilo schweren Koffer an Informationsmaterialien, die unsere Außendienstmitarbeiter mit sich führen, um Akquise- und Beratungsgespräche zu unterstützen. Besser wäre, wenn die Kollegen sämtliche Unterlagen bequemer zur Verfügung hätten – nicht in Papierform.“ Die Vision einer App war geboren.

Das war die Ausgangslage.
Genau. Fortan verfolgten wir das Ziel, unseren Kollegen im Außendienst die Informationen bequemer zur Verfügung zu stellen. Wir haben ein Lastenheft erstellt mit allen Anforderungen an eine gut zu bedienende App. In Scrum nennt man das die Sammlung aller bekannten User Stories, für die man sich auf die Ebene des Benutzers begibt. Man beschreibt also zum Beispiel: „Ich als Außendienstmitarbeiter möchte in einer App schnell wieder auf die oberste Bedienebene kommen – egal, wo ich mich befinde.“ Das ist eine User Story. Am Ende hatten wir davon ca. 119. Erst dann beginnt das agile Vorgehen in Sprints, wo eben diese User Stories in die Sprints eingeplant werden zur Umsetzung.

Wann legen Sie fest, wie lange das Projekt dauert und was es kosten darf?
Das geschieht im Vorfeld. Eine agile Vorgehensweise hat immer vier Eckpfeiler: Qualität, Zeit, Budget und Umfang. Qualität, Zeit und Budget legen wir vorher fest und fassen das danach nicht mehr an. Mindestens eine Variable wird gebraucht und das war und ist bei uns der Umfang.

Wenn man so vorgeht, muss man viel kommunizieren, oft Ergebnisse präsentieren. Daraus ergibt sich aber auch ein enormer Druck.
Das müssen wir differenzierter betrachten. Es stimmt zwar, dass diese Kommunikation viel Zeit in Anspruch nimmt. Denn wir können nicht davon ausgehen, dass wir ein Lastenheft drei Entwicklern geben, und dann sprechen wir uns in drei Monaten wieder, wenn alles fertig ist. In dem Fall wäre die Gefahr groß, dass etwas dabei herauskommt, das wir gar nicht haben wollten.
Die Sprints sollten generell so geplant sein, dass kein extremer Druck entsteht. Außerdem werden alle Entscheidungen gemeinsam im Team gefällt – dazu gehört auch das Festlegen der Dauer für die Arbeitspakete. So verteilt sich ein eventueller Druck immer auf das gesamte Team.

Bei diesem Prinzip arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Fachgebieten sehr eng zusammen. Führt das zu Problemen?
Der Austausch über Abteilungsgrenzen hinaus ist enorm fruchtbar. Wichtig ist, die Mitarbeiter dazu zu bewegen, auch andere Perspektiven einzunehmen. Der Programmierer muss verstehen, wie das Marketing denkt. Umgekehrt müssen die Marketing-Mitarbeiter natürlich auch verstehen, wie die Entwickler arbeiten. Und das gilt auch für den Außendienst und die Vertriebsmitarbeiter, denn letzten Endes möchten alle ein gutes Ergebnis erzielen.

Diese Art der Zusammenarbeit wirkt sich auch auf die Hierarchien im Unternehmen aus.
Ja. apetito ist ein Unternehmen mit klassischen Hierarchien, aber das Scrum-Modell bricht das an einigen Stellen auf. In Gremien, die mit Mitarbeitern aus unterschiedlichsten Fachbereichen besetzt sind, fallen Entscheidungen heute gemeinsam im Team. Wir möchten Commitments fördern. Es vergeht natürlich in jeder Organisationsform etwas Zeit, bis sich so etwas etabliert hat. Bei uns gelingt das inzwischen recht gut.

Sie haben bei apetito eine App entwickelt, die für Schüler gedacht ist. Die Schüler können sich über die App den Vertretungsplan der Schule ansehen oder mit Lehrern Kontakt aufnehmen. Die App hat viele Funktionen, die mit Ihrem eigentlichen Geschäft gar nichts zu tun haben. Was wollen Sie mit ihr erreichen?
Wir kommen ja aus einem klassischen B2B-Markt. Wir haben mit den Schulträgern zu tun, aber selten mit dem Endkunden direkt. Diesen Kontakt wollen wir ausbauen. Wir schaffen mit der App diverse Mehrwerte für die Schüler und deren Eltern sowie für die Lehrer. Wir möchten diesen Gruppen etwas bieten, das für sie im Schulalltag nützlich ist. In der App können sie beispielsweise sehen, wann die Ferien starten, ob es Freistunden gibt. Sie können sich über schulische Inhalte informieren oder sich in einem Chatraum mit der Klasse und dem Klassenlehrer austauschen. Und sie sehen, was es in der Schulmensa zu essen gibt. So können wir die Schüler vielleicht stärker motivieren, die Mensa auch zu besuchen.

Wer bestückt die App mit Inhalten?
Stunden- und Vertretungspläne zum Beispiel sind an Standard-Schul-Organisationssysteme geknüpft. Die Schule kann Inhalte ebenfalls individuell einspielen und als Redakteur fungieren, muss das aber nicht. Darüber hinaus liefert apetito Ernährungs-Feeds.

Wie messen Sie den Erfolg dieser App?
Jedes digitale Produkt hat sein eigenes Dashboard mit den wichtigsten Kennzahlen. Das ist eine Seite mit ca. 10 KPIs. Hier werden Qualität, Stabilität, Wirtschaftlichkeit gemessen. Beispielsweise über die Anzahl von Crashes, Downloads usw.

Sie entwickeln nicht nur Apps, sondern auch andere Software, zum Beispiel Webshops.
Richtig. Auch das ist ein sehr schönes Beispiel für die Vorteile der Digitalisierung. Es sind mittlerweile 65 Shops für unsere Verbandspartner im Bereich Essen auf Rädern online. Wir haben hier ein Framework geschaffen, das wir individuell auf die konkreten Bedürfnisse unserer Partner zuschneiden können.

Info:

Der Rheiner Verpflegungsspezialist apetito hat im Jahr 2016 innerhalb des Marketings eine Digitalisierungseinheit eingerichtet. Die Abteilung Digital Business Sales & Marketing wird geleitet von Peter Kuras. Sie versteht sich intern als Schnittstelle, setzt eigene Projekte um, übernimmt aber auch Aufgaben für andere Unternehmensteile. Zu den ersten Projekten gehörte eine App, die Schülern Informationen rund um ihre Schule und unter anderem über den Speiseplan in der Mensa bietet. Ein weiteres Projekt, das die Abteilung für den Vertrieb umgesetzt hat, ist eine App, mit der Vertriebsmitarbeiter auf Informationen zugreifen können, die sie vorher in schweren Koffern transportieren mussten. apetito hat 2018 für die Digitalisierung nach eigenen Angaben über 5 Mio. Euro in konzernweite Digitalisierungsprojekte investiert.

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Stefan Reinermann ist Digital Journalist, Online-Marketing-Manager und als Inhaber und Geschäftsführer der Agentur r2medien auch Herausgeber dieses Blogs. Nach einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei den Westfälischen Provinzial Versicherungen in Münster und einem Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln kam der gebürtige Emsdettener über Stationen in Redaktionen und Agenturen in Köln, Bonn, Leverkusen, Düsseldorf und Osnabrück schließlich zurück nach Münster und gründete hier 2004 die Agentur r2medien. Den Mehrwert von Netzwerken, kollaborativem Arbeiten und dem Teilen von Wissen hat er in den vergangenen Jahren in zahlreichen Projekten zu schätzen gelernt. Das war in erster Linie sein Antrieb zur Realisierung dieses Blogs.

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