Von Start-ups und Corporates. Und von Partnerschaften.

Die einzige Konstante derzeit ist der Wandel! Die Welt ist zunehmend vernetzt. Die digitale Transformation stellt vieles auf den Kopf. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der uns Menschen mitsamt der gesamten Lebens- und Arbeitswelt eine neue, digitale Dimension eröffnet. Und diese ist längst nicht mehr eine parallele Erscheinung, sondern ist eng mit unserer Realwelt verwoben.

Die Digitalisierung, die Auswirkungen und ich!

Nahezu jedes Unternehmen wird von den aktuellen Entwicklungen herausgefordert. Märkte verändern sich in hoher Geschwindigkeit. Das betrifft alle Märkte, nicht nur den eigenen Absatzmarkt. Auch die Beschaffungsmärkte, die Finanzmärkte und die Personalmärkte haben sich dramatisch verändert und werden es auch weiterhin tun. Allzu oft werden gerade mittelständische Unternehmen von diesen Entwicklungen überrascht. So gehen manche Unternehmenslenker fälschlicherweise davon aus, dass es sich bei der digitalen Transformation um eine zeitlich begrenzte Phase handelt, wie andere ökonomischen Phasen zuvor. Andere fühlen sich hingegen förmlich genötigt, die digitalen Trends aufzunehmen und möglichst jeder Sau, die durch das Dorf getrieben wird, zu folgen. Wieder andere sehen bei der Digitalisierung etwas Großes vor sich, das sie in Unkenntnis der technologischen und kulturellen Strukturen und Möglichkeiten dahinter, wenig verstehen und schon gar nicht anwenden können. In allen drei Fällen werden die enormen Chancen der Digitalisierung nicht sinnvoll genutzt!

Fehlen technische Kenntnisse, qualifizierte personelle Ressourcen und Ideen für eine Digitalisierung mit Optimierungspotenzial, so können Start-ups den mittelständischen Unternehmen helfen. Sie können mit ihrer hohen Innovationskraft Beiträge zur erfolgreichen Gestaltung der unternehmerischen Zukunft leisten. Sie sind Treiber der digitalen Transformation und Katalysatoren digitaler Lösungen für betriebliche Probleme.

Corporates vs. Start-ups? Nein, im Gegenteil!

Das sollten sich die etablierten Unternehmen, im Transformationssprech „Corporates“, zunutze machen. Auch wenn auf den ersten Blick die Unterschiede zwischen solchen Corporates und Start-ups groß erscheinen, ergeben sich bei näherem Hinsehen viele Synergiepotenziale, die natürlich für eine Zusammenarbeit sprechen. Die einen haben Probleme in ihren Prozessen, mit ihren Geschäftsmodellen, ihren Märkten. Die anderen haben technisches Wissen, Innovationskraft und Bock, etwas Eigenes zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Durch eine Kooperation erhalten Corporates die Chance, über den Tellerrand zu schauen, und profitieren von den Querdenkern. Start-ups lernen im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit die wirklichen, relevanten Probleme etablierter Unternehmen kennen und können ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihre Frische und ihre Leistungsfreude einbringen. Schon längst haben junge Menschen übrigens erkannt, dass, anders als in den Generationen deutscher Erwerbstätiger zuvor, die Selbstständigkeit eine Option, ein erstrebenswertes Gegenkonzept zur Anstellung ist. Hat man als Start-up ein Unternehmen als starken Partner an seiner Seite, bekommt man größere Aufmerksamkeit, gutes Marketing und lernt potenzielle Finanzpartner schneller kennen. Gerade für junge Gründer sind solche strategischen Partner wichtig.

Tradition trifft Innovation - Start-up

Die Formen einer fruchtbaren Zusammenarbeit sind vielfältig. Von der Initiierung eines gemeinsamen Projektes über Ausgründungsunterstützung, Investitionen, Co-Working und Joint Ventures bis hin zu einer klassischen Kunden-Lieferanten-Beziehung sind je nach Bedarf und Interesse mehr oder weniger zeit- und ressourcenintensive Kooperationen möglich.

Praxisbeispiel 1
Vor Kurzem haben sich ein Gebäudereinigungs-Unternehmen und ein Start-up für Künstliche Intelligenz (KI) in Münster zusammengetan. Das Unternehmen hatte vorher keinen Onlineshop und war dabei, seine dispositiven Systeme umzubauen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Unternehmen keine Kompetenzen in der Auswertung von Daten. Mittlerweile sind sie von dem Thema „Business Intelligence“ begeistert und schaffen es mithilfe des Start-ups, aus den gesammelten Daten bisher unbekannte Erkenntnisse zu ziehen, die für die Marktbearbeitung genutzt werden. Mittelfristiges Ziel ist es, den kompletten Vertrieb digital zu organisieren, woran beide nun gemeinsam arbeiten.

Doch entgegen der Vorteile und Variationen einer Zusammenarbeit zeigen Studien immer wieder, dass viele Mittelständler nach wie vor große Hemmnisse haben, Kooperationen mit Start-ups einzugehen. Und auch in der Praxis macht man diese Erfahrung schnell. Oftmals müssen zunächst Berührungsängste und Vorurteile abgebaut werden. Das funktioniert am besten, indem man sich mit dem Gegenüber auseinandersetzt und sich auf Augenhöhe begegnet. Voraussetzung dafür ist natürlich die Offenheit gegenüber dem Anderen. Der häufig festzustellende „Clash of Cultures“ ist nur zu überwinden, wenn man sich gegenseitig akzeptiert, respektiert und ernst nimmt! Und dies gelingt wiederum nur, wenn man sich darauf einlässt, sich kennenzulernen und miteinander zu sprechen. Und je mehr Kontakte Corporates zu Start-ups haben und umgekehrt, desto mehr Möglichkeiten können sich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ergeben. Das Bild des „Sales Funnels“ (Vertriebstrichter) gilt auch hier, nämlich als „Cooperation Funnel“ (Zusammenarbeitstrichter):

Cooperation Funnel

Zu Beginn des „Prozesses Kooperation“ erscheinen viele „kooperationsinteressante“ Akteure auf der Bildfläche. Doch je konkreter und ernster es wird, desto mehr – vorwiegend Corporates – springen ab. Am Ende des Tages entstehen also erheblich weniger Kooperationen, als zu Beginn angenommen. Aber für diese zahlt es sich dafür dann umso mehr aus. Untersuchungen zeigen, dass sich mehr als zwei Drittel der Kontakte zwischen Start-ups und Corporates eher zufällig ergeben. Wenn dann jedoch eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit erst einmal zustande gekommen ist, ist das Feedback überwiegend positiv: 96 Prozent der mittelständischen Unternehmen, die bereits einmal mit Start-ups zusammengearbeitet haben, würden dies auch wieder tun. Das ergab 2018 eine Studie des RKW Kompetenzzentrums Berlin. Mit anderen Worten, es ist Corporates wie Start-ups zu empfehlen, möglichst viele Kontakte zu knüpfen und Beziehungen zu pflegen!

Praxisbeispiel 2
Ein Kosmetikhersteller hat gemeinsam mit einem Intralogistik-Start-up eine High-Tec-Datenbrille entwickelt, die im 12.000 Quadratmeter großen Hochregallager des Kosmetikherstellers Anwendung fand. Die Datenbrille leitet die Mitarbeiter durch die Regale, spart unterm Strich 20 Prozent Zeit und die Mitarbeiter haben die Hände frei. Die Begegnung der beiden Partner ergab sich zufällig auf einer Veranstaltung. Das Unternehmen konnte sich dadurch zum Pionier avancieren, das Start-up ist seit der Kooperation stark gewachsen.

Set, Game, Match!

Akteure aus der Start-up-Szene und dem Mittelstand gezielt zusammenzubringen, um vor Ort den Austausch zu wichtigen Themen der Digitalisierung zu erreichen, ist eine gute Möglichkeit, die digitale Transformation zu fördern und sowohl Mittelständler als auch Start-ups zu stärken. Neben dem fachlichen Austausch sind auch kulturelle Aspekte ein Thema. Dabei kann es um Aspekte wie Fehlerkultur, Hierarchien, Arbeitsklima und Zuverlässigkeit gehen. Auch hier gilt, dass eine Win-Win-Situation entsteht und beide Seiten voneinander lernen können.

Das Netzwerkprojekt „start.connect“ fördert ein solches „Matching“ und bringt Corporates mit Start-ups zusammen. Dabei ist das Engagement fokussiert auf den eher ländlichen Raum des Münsterlandes (Kreise Steinfurt und Kreis Coesfeld). Hier gibt es nicht nur viele spannende Corporates, sondern auch immer mehr Start-ups. Und zwar auch durch Förderungen des Landes und der Kommunen, ebenso wie durch Initiativen der Hochschulen (z. B. Innovationslabor Münsterland). Die Bedarfspotenziale der Corporates einerseits und die Innovationspotenziale der Start-ups andererseits werden so systematisch abgeglichen.

Insgesamt ist dem Münsterland, aber letztlich ganz Deutschland, zu wünschen, dass die zwei vermeintlich unterschiedlichen Arten von Unternehmenskulturen schnell zu einem Kulturverständnis zusammenwachsen. Dies bringt Vorteile für alle Partner und nicht zuletzt für den Wirtschaftsstandort!


Co-Autor dieses Beitrages ist Prof. Dr. rer. pol. Ralf Ziegenbein.

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Lisa Geringhoff M.Sc. leitet an der FH Münster in Steinfurt das Projekt „start.connect“. Vorher war sie beim CSR Kompetenzzentrum in Münster tätig. Während ihres Studiums der Oecotrophologie und Nachhaltigen Ernährungswirtschaft an der FH Münster arbeitet sie einige Jahre am renommierten Wuppertal Institut für angewandte Nachhaltigkeitsforschung und war Vorsitzende des AStA der FH Münster. Sie ist spezialisiert auf die Bereiche Nachhaltigkeit sowie Netzwerken und Kooperationenbildung zwischen Startups und Unternehmen im Kontext der digitalen Transformation.
Nach seinem Studium der Wirtschaftsinformatik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war Ralf Ziegenbein mehrere Jahre als Prozessberater u. a. im Gesundheitssektor tätig. Parallel promovierte er in den Wirtschaftswissenschaften, ebenfalls in Münster. An der International School of Management (ISM) in Dortmund lehrte und forschte er danach als Professor mehrere Jahre im Bereich „Geschäftsprozessmanagement“. Seit 2010 verantwortet Ralf Ziegenbein als Professor den Bereich „Produktions- und Prozessmanagement“ am Institut für Technische Betriebswirtschaft (ITB) an der Fachhochschule Münster. Dort ist er ferner Vorstand des Instituts für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD). Neben seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung war und ist Ziegenbein als Autor, Trainer, Moderator, Redner und Berater im Umfeld des Prozessmanagements und der Digitalen Transformation aktiv.

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